Stilfibel

Ob Schulaufsatz oder Geschäftsbrief. Ludwig Reiners weist den Weg zum guten Deutsch

"Eine Fibel, was ist das eigentlich? Ich erinnere mich an den Flötenunterricht der Grundschule, da musste ich Lieder aus einer fettigen, spießigen »Musikfibel« spielen. Brockhaus definiert das so: »[Kinderwort aus »Bibel«], Leselernbuch (Abc-Buch), im übertragenen Sinn auch Lehrbuch zur elementaren Einführung in andere Sachbereiche (z. B. Gesundheitsfibel)«.

Stilfibel ... klingt verstaubt und nicht zeitgemäß. Kein Wunder: Autor Dr. Ludwig Reiners, seinerzeit Spezialist auf dem Gebiet des Ausdrucks, liegt seit genau 50 Jahren unter der Erde.

Womit wir auch - aha! - den Anlass einer Neuauflage hätten, die 35. bereits, diesmal in neuer deutscher Rechtschreibung. Nicht jedoch in neuer deutscher Grammatik. Diese ist hier seit einem halben Jahrhundert unverändert. So zum Beispiel das Dativ-E, das heute nicht mehr gebraucht wird: 1. Lektion, Kapitel 3, Satzteile: »Bei dem Satze Der Schüler küsste das schöne Mädchen im Walde haben wir vorhin untersucht [...]«

»Nun also!« da stör' ich mich nicht dran, denn die feine, wohl formulierte Sprache zu lesen macht richtig Spaß. Sie erinnert mich in »erquicklicher« Weise an Joseph von Eichendorff und Erich Kästner. 50 Jahre hin oder her: die Erklärungen sind denkbar einfach und amüsant: jede Lektion endet mit einer regen Diskussion zwischen Lehrer und Schüler, ein wissbegieriger und augenzwinkernder Austausch, bis der Leser selbst mit Aufgaben und Denkübungen gefordert ist.

Innerhalb von fünf Seiten werden Wortarten, Beugungen, Satzteile und Satzarten schlüssig und vor allem verständlich erklärt. Das Kapitel Glanz und Elend des Fremdworts sei so manchem ans Herz gelegt, der seinen fremdwortlastigen Stil für einwandfrei hält. Dass der Genitiv vom Aussterben bedroht sei, ist auch nicht etwa eine Erfindung von Bastian Sick - Herr Reiners war sich dieser »Gefahr« schon damals bewusst.

Wie gerne bekäme ich einmal eine wohl ausformulierte, persönliche und freundliche Mahnung, wie diese: »es geht uns wie Ihnen und wie heute allen: Wir sind knapp an Geld. Wir brauchen es für Löhne, für Einkäufe und für das unersättliche Finanzamt. Wir müssen Sie deshalb bitten: Schicken Sie uns den Gegenwert [...]«, statt solcherlei Drohungen: »nach Ablauf der Frist werden wir umgehend rechtliche Schritte gegen Sie einleiten«.

Ludwig Reiners war ein Meister des sachlichen-verständlichen, einfallsreichen Ausdrucks. Die Stilfibel ist auch heute noch ein wichtiges Buch, gerade weil es unverändert gebleiben ist - guter Stil ist rar.

Stilfibel
Veröffentlicht:
Autor:
Ludwig Reiners
Verlag:
dtv
isbn:
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Gemacht mit

corazon

von Lene Saile